Mittwoch 26. April 2006 in Garmisch-Partenkirchen:
Prozess gegen Antifaschistin wegen "Verunglimpfung des Staates"
Ein weiteres juristisches Nachspiel der Proteste gegen das "Pfingstreffen der Gebirgsjäger" im Mai 2005 findet am kommenden Mittwoch vor dem Amtsgericht Garmisch statt. Eine Antifaschistin soll nach Vorwurf der Staatsanwaltschaft durch das Rufen der Parole "BRD, Bullenstaat - wir haben Dich zum Kotzen satt" die Bundesrepublik Deutschland verunglimpft haben.
Außerhalb Bayerns ruft der Anlaß dieses Prozesses vermutlich sogar bei Polizei und Justiz nur ein müdes Lächeln hervor. Was andernorts offenbar unter die Freiheit der Meinungsäußerung fällt, gilt in Bayern seit einigen Jahren als Straftatsbestand. Regelmäßig werden hier aus diesem Grund Menschen meist auf Versammlungen verhaftet und vor Gericht gestellt, ihre persönlichen Daten landen in Dateien bei Polizei und Geheimdiensten.
Die betroffene Antifaschistin nahm im Mai 2005 an den Protesten gegen das "Pfingstreffen der Gebirgsjäger" im oberbayerischen Mittenwald teil. Seit einigen Jahren regt sich unter AntifaschistInnen, AntimilitaristInnen und DemokratInnen aus dem gesamten Bundesgebiet, Österreich, Italien, Griechenland und Slowenien Widerspruch gegen diese Feierlichkeiten, bei denen die mit logistischer Unterstützung der Bundeswehr und mit regelmäßigen Grußworten der bayrischen Staatsregierung seit 48 Jahren der Taten und der Helden der deutschen Gebirgstruppe gedacht. Die Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger im Zweiten Weltkrieg und die Massaker an der Zivilbevölkerung in mehreren europäischen Staaten werden hingegen mit keinem Wort erwähnt, in ihren Zeitungen sogar geleugnet und als Antwort auf den Partisanenkampf legitimiert. In jedem Jahr nehmen auch ehemalige Angehörige der Waffen-SS und eines Polizei-Regiments in Mittenwald teil, die im "Kameradenkreis der Gebirgstruppe e.V." organisiert sind.
Die Proteste gegen dieses Treffen waren in den letzten Jahren regelmäßig von massiver Polizeipräsenz und weitgehenden Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit begleitet. Das Kölner "Komitee für Grundrechte und Demokratie" fuhr im Mai 2005 zur Demonstrationsbeobachtung nach Mittenwald und nannte den Ablauf zusammenfassend "Präventiv-willkürlich eingehegtes Demonstrationsrecht auf bayrische Art": "Denjenigen, die die Erinnerung an die Kriegsverbrechen wachhalten und der Opfer gedenken, werden die Möglichkeiten, sich zu versammeln und ihre Meinung öffentlich kundzutun, in unerträglichem Maße beschnitten."
Neben anderem wurde vom krititisiert, dass zur Absicherung des Gebirgsjägertreffens ein ganzer Berg abgeriegelt wurde und die Zufahrt zu einer "Privatstraße des Bundes" erklärt wurde - ein Widerspruch in sich. Nach polizeilichem Augenschein wurde aussortiert und zeitweise in Gewahrsam genommen. Busse und anreisende PKW wurden ständig - "verdachtsunabhängig" - kontrolliert und Personalien immer wieder festgehalten. VersammlungsteilnehmerInnen sollten sich in eng mit Flatterband abgesperrte Umzäunungen begeben, bei Nichteinhaltung wurde mit Gewahrsamnahme gedroht. Bis ins Kleinlichste kontrollierte die Polizei die Einhaltung der seitenlangen Auflagen. "Vermummung" wurde je nach Situation und Gutdünken definiert.
"Insgesamt wurde ein vordemokratisch-autoritäres Grundrechtsverständnis deutlich. Versammlungen wurden grundsätzlich als potentielle Gefährdungen aufgefasst, die es präventiv polizeilich zu kontrollieren, zu überwachen und einzuschüchtern gelte. Wer sein Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit in Anspruch nimmt, gilt als Störer und Störerin, als potentielle StaftäterIn und hat diesem polizeilich-politischen Verständnis gemäß seine Freiheitsrechte schon verwirkt.", so Dr. Elke Steven vom Komitee für Grundrechte und Demokratie damals.
In diesem Klima fand am Abend des 14. Mai ein Konzert vor einem Zelt am Bahnhof statt. Kurz vor Beendigung des Konzertes stürmten Beamten der Sondereinheit USK ohne konkreten Anlaß zur Bühne und verlangten die Auflösung der Versammlung. In dieser Situation sollen einige der dort Anwesenden den in Bayern immer wieder kriminalisierten Spruch "BRD Bullenstaat - wir haben Dich zum Kotzen statt" gerufen haben.
Die nun beschuldigte Antifaschistin befand sich am nächsten Tag in einem Bus auf dem Weg nach Hause, als dieser auf der Autobahn gestoppt wurde. Einige wurden recht unsanft herumgeschubst, schließlich mussten alle den Bus verlassen. Der Antifaschistin wurde die Festnahme erklärt, sie wurde mitgenommen und nach erkennungsdienstlicher Behandlung mehrere Stunden später wieder freigelassen.
Die Aktivistin bekam einen Strafbefehl über 800 Euro, gegen den sie Widerspruch einlegte. Nun findet am Mittwoch, den 26. April 2006 um 9:40 Uhr vor dem Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen (Rathausplatz 11) die Hauptverhandlung statt.
Wir bitten die Presse um Beachtung und rufen alle dazu auf, den Prozess zu besuchen und die Antifaschistin nicht alleine zu lassen.
Rote Hilfe e.V. - Ortsgruppe München