Am Montag, den 03. September um 9 Uhr findet der Berufungsprozess vor dem Landgericht München I (Nymphenburger Str. 16; Zimmer B 279/ II) gegen die Münchnerin Nikola J. statt. Sie soll laut Anklage im April 2006 auf einer Demonstration gegen Neonazis versucht haben, bei der Festnahme einer „unbekannten Person“ durch einen „unbekannten Polizeibeamten“ eben diesem „unbekannten Polizeibeamten“ durch einen Fußtritt Verletzungen unbekannten Schweregrades zugefügt zu haben und dadurch sogar eine „Gefangenenbefreiung“ versucht haben soll. Weder konnte bisher vorgebracht werden, welcher Polizeibeamte verletzt worden sein soll noch wer der Gefangene war, der angeblich befreit werden sollte.
So viele Unbekannte in einem Strafverfahren sollten vor Gericht mindestens erhebliche Zweifel an dem von Polizei und Staatsanwaltschaft dargestellten Ablauf aufkommen lassen – nicht jedoch, wenn in Bayern NazigegnerInnen vor Gericht stehen. Bei der erstinstanzlichen Verurteilung genügte dem Richter – ähnlich wie bei anderen Prozessen im gleichen Zeitraum – die vage Zeugenaussage eines Polizeibeamten und ein Polizeivideo, das zwar keinerlei strafbare Handlung der Angeklagten erkennen ließ, aber laut Urteilsbegründung nicht zweifelsfrei beweisen konnte, dass die Angeklagte nicht außerhalb der Aufnahmen strafbare Handlungen begangen hat.
Diese faktische Beweislastumkehr und die Konstruktion von nicht beweisbaren, aber auch nicht widerlegbaren (Bagatell-)Vorwürfen zieht sich durch die gesamte Prozesswelle gegen NazigegnerInnen, die dann zu hohen Strafen verurteilt werden. Immer wieder werden Neonazi-Aufmärsche mit massiven Polizeiaufgeboten vor Protesten abgeschirmt. Penibelst sucht die Polizei dabei – wie auch vor 14 Tagen am Stachus – nach Gründen, gegen AntifaschistInnen vorzugehen, während offenkundigste Auflagenverstöße von Neonazis wie zuletzt die Verherrlichung des Kriegsverbrechers Heß überhört und übersehen werden. (Siehe auch Süddeutsche Zeitung Nr. 31 vom 07.02.2007: „Im Zweifel gegen den Verdächtigen“)
Der am Montag stattfindende Prozess ist das erste Berufungsverfahren in der Prozesswelle gegen die Teilnehmer der Demonstration am 25.04.2006 gegen eine Versammlung der NPD auf dem Marienplatz. Bereits in der ersten Instanz wurden drei der insgesamt fünf Angeklagten gezwungen, wegen der drohend hohen Prozesskosten nicht mehr in Berufung zu gehen.
Die beiden, die sich ihr Recht nicht nehmen lassen wollen, gehen nun in die zweite Instanz. Der zweite Prozess vor dem Landgericht gegen Julia R. (siehe Artikel der Süddeutschen Zeitung Nr. 276 vom 30. November 2006: „Eine Frau gegen 10 Polizisten“) findet am 17.09.2007 statt.
Sara Lehman
Pressesprecherin der Roten Hilfe München