Im Dezember 2004 und im Februar 2005 waren wir mit Presseerklärungen an die Öffentlichkeit getreten, um über die im Rhein-Neckar-Raum zu verzeichnende äußerst hohe Frequenz geheimdienstlicher Anwerbeversuche in der linken Szene zu informieren.
Seither sind sechs Monate vergangen, und zu den uns bekannt gewordenen "Hausbesuchen" des Verfassungsschutzes (VS), die wir in unserer Mitteilung vom 06.02.2005 zu voreilig als "das Erreichen eines erschreckenden Höhepunktes" bezeichnet hatten, sind weitere hinzugekommen, so dass wir jetzt von insgesamt zehn Versuchen des VS ausgehen, Menschen aus der linken Szene für geheimdienstbehördliche Aufgaben einzuspannen - in einem Zeitraum von nur einem Jahr.
Auch in anderen Städten der Umgebung kam es wiederholt zu Anquatschversuchen. So wollte z. B. am 11. Juli 2005 ein Verfassungsschützer erneut einen 23jähriger Karlsruher vor dem Haus seiner Eltern bei Landau (Pfalz) für Spitzeldienste anwerben, obwohl dieser die Behörde schon einmal hatte abblitzen lassen.
Der neueste Fall in Heidelberg hat sich am Donnerstag, den 04.08.2005 zugetragen, als gegen 9.00 Uhr ein Schnüffler bei einem 24-jährigen Studenten auftauchte, der der linken Szene zugeordnet wird,. Weil der Betroffene in diesem Moment jedoch nicht zu Hause war, hinterließ der VSler an der Tür einen Zettel mit folgender handschriftlicher Notiz:
"Hallo Herr W., bitte rufen Sie mich doch zurück! Danke. Gruß, Staiger.
Tel.: 0175/2217249"
Unter dem Decknamen "Staiger" treten seit mehreren Jahren Geheimdienstmitarbeiter auf, die zu unmöglichen Zeiten bei irgendwelchen Leuten vor der Tür stehen, um sie auszuquetschen, unter Druck zu setzen und ihnen einen Job bei ihrer Behörde anzubieten. Dies war dem Studenten allerdings nicht bekannt, weshalb er sich gegen 13.00 Uhr unter der angegebenen Handynummer zurückmeldete, um in Erfahrung zu bringen, wer dieser Herr Staiger sei und was er denn von ihm wolle.
Sobald sich dieser nun am Telefon als Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes zu erkennen gab, machte der Betroffene das in dieser Situation einzig Richtige: Er beendete sofort das Gespräch!
Die einzig richtige Reaktion auf Anwerbeversuche kann nur das sofortige Ablehnen jedes Gesprächs sein, denn jede noch so nebensächlich erscheinende Information kann für VerfassungsschützerInnen ein wichtiger Baustein in ihrem Bild von den politischen Zusammenhängen oder sogar für abenteuerliche Anklagekonstruktionen gegen die/den BetroffeneN und ihr/sein politisches Umfeld sein.
Alle, deren persönliche Lebensgestaltung Anlass bietet, vom Inlandsgeheimdienst ins Visier genommen zu werden, sollten in nächster Zeit vermehrt auf Folgendes achten:
- Die von staatlicher Repression betroffenen Menschen trifft keine Schuld; sie haben nichts "falsch" gemacht; sie sind nicht mit den "falschen" Leuten zusammen gekommen; sie sind aus den unterschiedlichsten Gründen vom staatlichen Repressionsapparat "ausgewählt" worden.
- BeamtInnen des Verfassungsschutzes, deren Arbeit sich im Gegensatz zum Staatsschutz ausschließlich auf geheimdienstliche Erkenntnisse bezieht (auch wenn sie oft von der Polizei mit Materialien gefüttert werden, etwa mit Daten von Personenkontrollen), haben keinerlei Befugnisse, eine Aussage oder Mitarbeit zu verlangen. Sie haben keine Macht, juristischen oder sonstigen Druck auf die Angesprochenen auszuüben (auch wenn sie in Extremfällen damit drohen); deshalb verweist mensch sie am Besten gleich des Hauses.
- Die betroffene Person meldet den "Anquatschversuch" am Besten sofort der "Roten Hilfe e. V." (oder irgendeiner anderen Anti-Repressionsgruppe in der Nähe) und erklärt sich einverstanden, diesen Vorgang zu veröffentlichen, denn nichts ist dem Verfassungsschutz unliebsamer als eine Öffentlichkeit, die seine Arbeit kritisch wahrnimmt und ans Tageslicht befördert.
- Bei VSlerInnen handelt es sich immer um geschultes, professionell ausgebildetes Personal, das den Betroffenen in jeder Hinsicht immer um mehrere Schritte voraus ist. Zu denken, ihnen bei einem Gespräch etwas "vorspielen", sie auf falsche Fährten locken zu können, ist fatal - die spezifische Auswahl erfolgte ja deshalb, weil sie genauestens über die Aktivitäten, die (ehemaligen) Freundeskreise der Einzelnen und über das jeweilige Freizeitverhalten Bescheid wissen. Eine Zielobjektivierung erfolgt niemals zufällig.
Die Rote Hilfe e. V. Heidelberg protestiert hiermit zum wiederholten Male ausdrücklich gegen die Anwerbeversuche des Geheimdienstes.
Rote Hilfe e. V. Ortsgruppe Heidelberg