Mit dem erst Ende Juni bekannt gegebenen Urteil im Prozess vom 19. Mai 2009 hat das
Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße festgestellt, dass eine Reihe von Auflagen, die die Stadt
Neustadt anlässlich einer linken Demonstration gegen Polizeigewalt am 31.Mai 2008 erlassen hatte,
rechtswidrig war. Die Anmelderin der Demonstration hatte mit Unterstützung der Roten Hilfe e.V. gegen
die massiven Einschränkungen des Demonstrationsrechts geklagt.

Die Ordnungsbehörde hatte zum Beispiel eine Zwischenkundgebung vor dem Polizeirevier in Neustadt
gänzlich untersagt, obwohl es einen eindeutigen thematischen Bezug zur Demonstration gab: Anlass
war nämlich u. a. die schikanöse Misshandlung zweier minderjähriger Nazigegnerinnen auf eben jenem
Revier, die sich dort am 1. Mai mehrfach hatten entkleiden müssen und ohne Anwesenheit der Eltern
verhört worden waren.

Außerdem wurde die Veranstalterin in den Auflagen verpflichtet, OrdnerInnen zu bestellen, die der
Polizei ihre Personalien angeben mussten. Zudem hatte die Behörde verfügt, dass es nicht erlaubt sei,
in Blöcken, Zügen oder Reihen zu gehen. Sie hatte darauf bestanden, dass Fahnen- und
TransparentträgerInnen über die gesamte Länge des Aufzugs verteilt werden müssten.

Durch diese absurden Auflagen und eine immense Polizeipräsenz wurde die Versammlung in weiten
Teilen verunmöglicht - ein Vorgehen, das von besonderer Brisanz ist, weil sich die Demonstration ja
gerade für die Verteidigung von Grundrechten gegen polizeiliche Repression stark machen wollte.
Das Gericht stellte in deutlichen Worten klar, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit nicht nur wegen
des schweren Eingriffs in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, sondern auch wegen
Wiederholungsgefahr notwendig sei: Die Stadt hatte angekündigt, in vergleichbaren Situationen ebenso
handeln zu wollen.
Im Urteil wird ausgeführt, dass besondere Auflagen für Demonstrationen nur zulässig sind, wenn „fast
mit Gewissheit“ von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgegangen werden
müsse - dies allerdings müsse dann mit konkreten Tatsachen belegt werden. Auflagen seien überhaupt
nur zur Abwehr einer konkreten Gefahr, keinesfalls aber zur Abwehr jeder denkbaren abstrakten Gefahr.
So sei das Verbot der Zwischenkundgebung mit dem bloßen Hinweis, DemonstrantInnen könnten durch
Sitzblockaden Zufahrtswege zum Polizeirevier blockieren, eindeutig rechtswidrig. Weder hatte die Stadt
darlegen können, dass dergleichen geplant gewesen sei noch dass sie nicht mit anderen Mitteln die
Möglichkeit gehabt hätte, ein solches imaginiertes Szenario zu verhindern.

Auch, dass die Anmelderin gegen ihren ausdrücklichen Willen dazu verpflichtet wurde, OrdnerInnen zu
stellen und deren Namen anzugeben, ist rechtswidrig: OrdnerInnen sind - so stellte das Gericht klar -
nicht der verlängerte Arm der Polizei, sondern haben ausschließlich die Rechte und Pflichten der
Versammlungsleitung zu vertreten. Eine Pflicht, OrdnerInnen einzusetzen, bestehe nicht. Für die
Feststellung der Identität der OrdnerInnen fehle jede Ermächtigungsgrundlage im Versammlungsgesetz.
Sie seien rechtlich wie TeilnehmerInnen zu sehen und unterliegen deshalb keiner besonderen
Ausweispflicht.

Auch die Auflage, Fahnen und Transparente gleichmäßig über den gesamten Zug zu verteilen und nicht
in Formationen gehen zu lassen, wurde vom Gericht als unrechtmäßig eingeschätzt, da dadurch weder
die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet noch ein sonstiger Straftatbestand erfüllt werden
könne.

Die Rote Hilfe begrüßt das Neustädter Urteil, das das Recht auf Demonstrationen gegen staatliche
Gängeleien und Schikanen stärkt. In den letzten Jahren ist es zunehmend üblich geworden, missliebigen
Protest durch absurde polizeiliche Auflagen zu verhindern oder einzuschränken.
Wir werden auch weiterhin das Recht auf außerparlamentarischen Protest gegen staatliche Eingriffe
verteidigen.

Rote Hilfe Ortsgruppe Heidelberg

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